Im Zentrum des Werks von Alexej von Jawlensky (1864 Torschok – 1941 Wiesbaden) steht das menschliche Gesicht, denn in ihm offenbart sich, so schreibt der Künstler, „der ganze Kosmos“. In der Entwicklung von den frühen Porträts bis zu den späten Serien der Abstrakten Köpfe und der Meditationen verzichtet Jawlensky immer mehr auf individuelle Ähnlichkeit zugunsten der Spiritualisierung des Gesichts, denn Kunst ist für ihn die„Sehnsucht zu Gott“. Schon das um 1912 entstandene Gemälde Mädchen mit niedergeschlagenen Augen dokumentiert diesen Weg, der auch die Tradition der russischen Ikone einbezieht. Träumerisch schaut das Mädchen mit geschlossenen Augen nach innen. Die als große dunkle Leerstellen gemalten Augen scheinen sich einer anderen jenseitigen Realität zu öffnen. Die Betrachter:innen des Bildes fühlen sich nicht angeschaut, aber doch berührt und in einen Raum eigener kontemplativer Erfahrung gelenkt. Der Eindruck einer transzendenten Wahrheit wird durch die intensiv gesteigerten Farben verstärkt, das Rot des Haars, das Gelb des Halses, das tiefe Blau, das den Kopf als Aureole umfließt.